Die Robos und die Angst vor dem Crash
Plattformen, die nach Algorithmen automatisch Aktien kaufen, kommen bei Anlegern gut an. Doch wie gut sind sie, wenn die Börse einbricht?
WirtschaftsWoche vom 05.01.2018
Von Daniel Schönwitz
Wer als Kundenbetreuer beim Bankhaus August Lenz anfängt, muss sich zunächst der Tulpenkrise von 1637, dem Schwarzen Donnerstag 1929 und der geplatzten Dotcom-Blase um die Jahrtausendwende widmen. "In mehreren Workshops beschäftigen sich unsere Berater intensiv mit historischen Spekulationsblasen", sagt Jochen Werne, Direktor der Münchner Privatbank. Wichtig ist dabei insbesondere die Perspektive der Anleger. "Wir arbeiten heraus, was sie zu der jeweiligen Zeit bewegt hat und wie sie auf schlechte Nachrichten reagiert haben."
Ziel ist dabei nicht, trockenen Finanzstoff mit Anekdoten und Emotionen aufzulockern. Es gehe um die Kernkompetenz von Beratern, meint Werne: "Die größte Gefahr für langfristige Aktienstrategien sind die Anleger selbst, weil sie dazu neigen, in Crash-Phasen auszusteigen." Berater müssten dann zur Stelle sein, den richtigen Ton treffen - und verhindern, "dass Kunden in die Emotionsfalle tappen".
Damit, so Werne, könnten sich klassische Finanzdienstleister entscheidend von der neuen digitalen Konkurrenz abheben: Robo-Advisor wie Scalable Capital, Quirion oder Vaamo punkten zwar mit kostengünstiger, bequemer und wissenschaftlich fundierter Onlinevermögensverwaltung - bieten aber keinen Gesprächspartner aus Fleisch und Blut, der Anleger im Ernstfall vor Fehlern bewahrt.
Wie Roboter Nerven schonen wollen
Dabei gehen Aktienstrategien nur auf, wenn Anleger Verlustphasen aussitzen; die meisten Robos raten zu Laufzeiten von mindestens zehn Jahren. Der nächste Crash wird damit zum Lackmustest, denn die jungen Robos kennen bislang fast nur steigende Kurse.
Erik Podzuweit ist zuversichtlich, dass er den Test besteht. Der 36-jährige Mitgründer von Scalable Capital ist in der Szene innovativer Finanztechnologie-Unternehmen (Fintechs) ein Star; mit seinem Vermögensverwalter hat er binnen 22 Monaten mehr als 500 Millionen Euro bei 15 000 Anlegern eingesammelt. Das Prinzip ist einfach: Anleger machen mit ein paar Klicks Angaben zu Zielen, Risikofreude, Erfahrung und Einkommen - und der Algorithmus errechnet dann blitzschnell ein passendes Portfolio aus Exchange Traded Funds (ETF) - Fonds, die einen Index abbilden und ohne teure Fondsmanager auskommen.
Das ermöglicht nicht nur breit gestreute, sondern auch kostengünstige Investments. So zahlen Scalable-Kunden ein Prozent des Anlagevolumens pro Jahr, klassische Banken verlangen oft das Doppelte.
Doch was, wenn der Preisvorteil durch einen übereilten Ausstieg wieder verloren geht? Um die Nerven der Kunden zu schonen, senkt der Scalable-Algorithmus den Aktienanteil, wenn er vermehrt Crash-Signale erkennt, etwa stärkere Kursschwankungen.
Damit unterscheidet sich Scalable von Konkurrenten wie Vaamo oder Quirion, die auf Rebalancing setzen: Ist der Aktienanteil in deren Depots wegen hoher Kursgewinne gestiegen, verkaufen sie automatisch Aktien-ETFs. Umgekehrt kaufen sie bei niedrigen Kursen systematisch nach. "Das erhöht die langfristigen Renditechancen", sagt Anselm Hüwe, Senior Analyst bei Quirion. Allerdings können zeitweilige Kursverluste in Crash-Phasen heftiger ausfallen. Wenn es Kunden zu heiß wird, könnten sie "kostenlos und unkompliziert in ein defensiveres Portfolio umschichten", verspricht Hüwe.
Händchenhalten per Mail funktioniert, es schützt Kunden vor Panikreaktionen
Wenn die Börsen wackeln, kommt die Mail
Um übereilten Entscheidungen vorzubeugen, will Quirion sich zudem, sobald die Kurse absacken, bei den Kunden melden. Dafür gibt es klare Regeln: Je nach Risikoprofil geht automatisch eine Mail raus, wenn der Verlust eine vorab definierte Schwelle zwischen 5 und 20 Prozent pro Quartal übersteigt. In der Mail will Quirion Kunden an ihre langfristige Strategie erinnern.
Bisher wurde noch keine solche Mail verschickt - und Hüwe ist gespannt auf den Test: "US-Studien zeigen, dass solche Nachrichten auch einen gegenteiligen Effekt haben können, weil Kunden dadurch erst auf Turbulenzen aufmerksam werden."
Podzuweit ist dagegen überzeugt, dass "digitales Händchenhalten" funktioniert. Scalable hat mehrfach Mails verschickt, wenn die Börsen zitterten - zum Beispiel nach der Trump-Wahl oder der Brexit-Abstimmung. Es gelinge bisher sehr gut, "Kunden vor Panikreaktionen zu schützen", sagt er.
Und wenn's richtig kracht? Werne vom Bankhaus Lenz glaubt nicht, dass E-Mails dann reichen. "Wir halten das persönliche Gespräch für unverzichtbar", sagt er. Es reiche auch nicht, nur in Notfällen anzurufen. "Um den richtigen Ton zu treffen, müssen Berater ihre Kunden genau kennen." Ziel sei deshalb eine "konstante Kommunikation".
Darauf hat das Bankhaus, das zur italienischen Mediolanum-Gruppe gehört, auch sein Anreizsystem zugeschnitten. "Wir honorieren nicht den Verkauf von Anlageprodukten, sondern die Dauer der Kundenbeziehung", sagt Werne. Die Berater verdienen also umso mehr, je länger ein Kunde an Bord bleibt. Das soll Anreize schaffen, passende Fonds auszuwählen und Kunden eng zu begleiten.
Das sei bei Banken aber nicht die Regel, sagt Podzuweit von Scalable. "Meist geht es doch darum, Produkte zu verkaufen, und dann hören Kunden lange Zeit nichts." Banken hätten nicht bewiesen, dass sie Anleger von Fehlern abhalten können - weder beim Crash 2000 noch in der Finanzkrise.
So viel scheint gewiss: Nach bald neun Jahren Hausse dürfen die Robos demnächst zeigen, ob sie es besser können.
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