Stammtorwart in der Fußballnationalelf – das war René Adler im Frühjahr 2010. Kurz vor der Weltmeisterschaft in Südafrika. Doch dann brach sich der gebürtige Leipziger, der damals bei Bayer Leverkusen unter Vertrag war, in einem Bundesligaspiel eine Rippe und verpasste das Ticket zur WM. „Mein sportliches Trauma – total bitter‟, sagt er heute. Das Verletzungspech verfolgte ihn weiter, ob später beim Hamburger SV oder heute bei Mainz 05, wo er wegen eines Knorpelschadens im Knie gerade wieder zum Zuschauen verdammt ist. Doch Adler ist keiner, der jammert. Über seine Rückschläge sagt er: „Ich habe viel über mich gelernt.‟ Einschlägige Erfahrungen hat der 34-Jährige auch beim Geldanlegen gesammelt. In der Lili’s Bar im Frankfurter Sofitel hat Scalable Capital mit dem Profitorhüter gesprochen – über astronomische Ablösesummen, Verluste mit Schiffsfonds und die beeindruckende Unbekümmertheit von Manuel Neuer.
Foto: T1TAN
Herr Adler, lassen Sie uns über Geld sprechen. Im Profifußball sprudelt das Geld gerade ziemlich üppig...
René Adler: Wir können uns ruhig duzen. Ich bin René.
Gerne. Ich bin Tobias. Also René, werden die Ablösesummen und Spielergehälter im Profifußball weiterhin so stark steigen wie zuletzt?
Wir bewegen uns da auf einem ganz schmalen Grat. Im Fußball wird ein riesiges Rad gedreht – immer mehr Wettbewerbe, Vermarktung, Fernsehgelder und immer höhere Ablösesummen. Einerseits müssen wir schauen, dass wir im internationalen Vergleich konkurrenzfähig bleiben, andererseits kann das auch nach hinten losgehen. Schon jetzt sind die Zuschauerzahlen in den Bundesligastadien rückläufig. Die Menschen sehen, wie die Ticketpreise stetig steigen, wie Spieler trotz scheinbarer Transparenz durch Social Media immer weniger nahbar werden. Damit können sich die Fans nicht mehr identifizieren. Ich habe Freunde, die heute lieber ein Spiel von Altona 93 als ein Bundesligaspiel ansehen – weil’s da noch nach Bratwurst riecht. Diesen Trend sollten wir ernst nehmen.
Mal konkret: Wenn du Uli Hoeneß oder Karl-Heinz Rummenigge wärst, würdest du dann 200 Millionen Euro in die Hand nehmen, um zwei Top-Stars für den FC Bayern zu verpflichten?
Ich glaube, die beiden brauchen keine Ratschläge von mir. Der FC Bayern hatte immer eine klare Linie. Solange die Vereinsbosse von ihrem Kader überzeugt sind, machen sie diesen Ablösewahnsinn nicht mit. Aber sobald sie wirklich der Meinung sind, sich verstärken zu müssen, wird nicht gekleckert. Dann werden sie für einen Spieler auch 100 Millionen ausgeben. Der FC Bayern hat ja schon vor sechs Jahren 40 Millionen für Javi Martínez hingeblättert, einen defensiven Mittelfeldspieler, der nicht von einem unmittelbaren Top-Club kam. Da dachten auch alle: Wahnsinn!
Und in fünf Jahren sprechen wir dann über Ablösesummen in Milliardenhöhe.
Ich hoffe nicht. Irgendwann wird das Fernsehen die hohen Beträge für die Rechte nicht mehr bezahlen können. Die Leute werden nicht bereit sein, immer mehr Geld im Monat auf den Tisch zu legen, um fünf verschiedene Wettbewerbe auf fünf verschiedenen Pay-TV-Kanälen zu verfolgen. Die Spirale kann sich nicht immer weiterdrehen.
Findest du, dass Fußballprofis zu viel verdienen?
Ich sage sicher nicht, dass die Gehälter total gerechtfertigt sind. Aber ein Top-Spieler wie Cristiano Ronaldo hat in unserer Welt eben einen enormen Marktwert. Er prägt ja eine ganze Sportart. Was allerdings auffällig ist, sind die hohen Summen, die auch eher durchschnittliche Spieler durch diese Entwicklung verdienen. Etwa im Mittelfeld der Premier League.
Kann Geld einen Fußballprofi überhaupt noch motivieren? Was bringt es einem Millionär, wenn er eine sechs- oder siebenstellige Prämie für den Gewinn der Champions League bekommt?
Klar motiviert das. Profis sind auch nur Menschen. Und der Mensch ist nie zufrieden, er will immer mehr. Wenn du eine Million hast, willst du fünf. Wenn du fünf hast, willst du zehn. Jeder vergleicht sich, und es gibt immer einen, der mehr Geld hat. Außer du bist Jeff Bezos.
Wann hast du dein erstes Geld auf dem Fußballplatz verdient?
Mit 14. Da habe ich meinen ersten Vertrag beim VfB Leipzig unterschrieben. 200 D-Mark habe ich im Monat bekommen und dazu ein Paar Fußballschuhe.
Ein Jahr später bist du zu Bayer Leverkusen gegangen. Da ist dein Einkommen doch sicher sprunghaft angestiegen.
Ja, aber das Geld war mir gar nicht so wichtig. Ich wollte nur meinen Traum verwirklichen. Zum Geldausgeben hatte ich auch gar keine Zeit, ich musste ja dauernd trainieren.
Es gibt junge Spieler, die kaufen sich erst mal einen Porsche oder Mercedes, wenn das große Geld kommt.
Ich wurde als sparsamer und sicherheitsdenkender Mensch erzogen. Mir wurde immer eingebläut, dass ich als Profifußballer nur eine bestimmte Zeit zum Geldverdienen habe und danach möglichst finanziell abgesichert sein sollte. Deshalb habe ich das Geld nie zum Fenster rausgeworfen. Aber auch ich hatte Flausen im Kopf und habe mir mal was gegönnt: einen Aston Martin oder einen teureren Urlaub. Ich denke, ab und an darf und soll man sich belohnen.
Einen Aston Martin? Hört sich nicht gerade sparsam an.
Stimmt. Das war aber auch eines der größten Fehlinvestments meines Lebens. Ich habe den Wagen für 140.000 Euro gekauft und für 65.000 verkauft. Schlechter kannst du dein Geld nicht anlegen. Heute kann ich darüber lachen. Wahrscheinlich musste das mal sein – Rumfahren mit röhrendem Auspuff. Mittlerweile fahre ich einen Golf.
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René Adler wird am 15. Januar 1985 in Leipzig geboren. Mit sechs Jahren beginnt er Fußball zu spielen. Als ein Talentscout vom VfB Leipzig an seine Schule kommt, ihn aber nicht zum Probetraining einlädt, fragt er, ob er trotzdem teilnehmen darf. Der Scout stimmt zu, der Trainer stellt Adler jedoch ins Tor, was dieser nur unter Tränen mitmacht. Dennoch beißt er sich durch, und schnell wird klar, dass er außergewöhnlich viel Talent hat. Mit 15 wechselt er zu Bayer Leverkusen. Sieben Jahre später hütet er zum ersten Mal in einem Bundesligaspiel das Tor und verdrängt die damalige Nummer eins von Bayer, Jörg Butt, vom Stammplatz. 2010 ist Adler am Höhepunkt seiner Karriere. Bei der WM in Südafrika soll er als deutsche Nummer eins zwischen den Pfosten stehen. Doch ein Rippenbruch verhindert seine Teilnahme an dem Turnier. Daraufhin wird Manuel Neuer Stammtorhüter in der Nationalelf. Nach einer Patellasehnenoperation verliert Adler auch seinen Stammplatz in Leverkusen. Er wechselt ablösefrei zum Hamburger SV. Nach einer starken Leistung in der ersten Saison wird er auch dort durch Verletzungen zurückgeworfen. Adler studiert Sportmanagement, beteiligt sich an einer Firma, die Torwarthandschuhe herstellt, und wechselt im Sommer 2017 zu Mainz 05. Dort zieht er sich im Mai 2018 im Training einen Knorpelschaden im Knie zu. Seither hat er nicht mehr gespielt, hofft aber, in dieser Saison noch für den Verein auflaufen zu können. Sein Vertrag läuft diesen Sommer aus. René Adler lebt in Hamburg und Mainz und ist seit 2016 mit der Schauspielerin Lilli Hollunder verheiratet.
Wenn wir schon bei schlechten Investments sind: Welche gab es noch in deinem Leben?
Schiffsfonds. Da habe ich auf ganz brutale Weise Lehrgeld bezahlt. Megafrustrierend, die Verluste. Dumm sogar. Die Lektion war: Wenn du schon das Privileg hast, so viel Geld zu verdienen, dann ist es verdammt noch mal deine Pflicht, dich mit der Geldanlage auseinanderzusetzen. Es stimmt wirklich: Geld verpflichtet! Das heißt nicht, dass jeder Aktionär die Bilanz eines Unternehmens zerpflücken muss. Aber man sollte schon eine Ahnung haben, was man da kauft.
Das heißt, die Schiffsfonds hat dir ein findiger Finanzberater angedient?
Letztlich habe ich selbst durch mein damaliges Desinteresse an diesen Themen zum Fehlinvestment beigetragen. Diese schlechte Erfahrung musste ich leider machen. Es gibt viele Machenschaften in der Fußballbranche. Da werden sich in allen Bereichen Provisionen zugeschanzt. Ich kannte mich überhaupt nicht aus. Ich komme aus einer Familie, in der es der größte Lebenstraum war, das eigene Haus abzubezahlen. So geht es vielen. Meine These ist deshalb: Für einen Fußballprofi ist der Finanzberater noch viel wichtiger als der Spielerberater. Der Spielerberater holt vielleicht noch ein bisschen mehr raus, wenn du den Verein wechselst, aber das macht den Kohl nicht fett. Wenn jedoch die Geldanlage abschmiert, dann hast du ein Problem. Ich habe Profis kennengelernt, die bei Top-Vereinen gespielt haben und denen nach der Karriere das Geld ausgegangen ist.
Hast du noch einen Berater, oder investierst du jetzt in Eigenregie?
Ich bin sehr oft im Austausch mit meinem Banker und in die Auswahl jeder einzelnen Aktie involviert. Ich kaufe nur, was ich wirklich verstehe. Außerdem – ganz wichtig! – weiß ich, wie teuer die Finanzprodukte in meinem Depot sind. Inzwischen macht mir Geldanlage sogar richtig Spaß.
Bist du auch erfolgreich damit?
Das kommt auf den Blickwinkel an. In einem so volatilen Markt wie aktuell, geht es für mich darum, mein Geld risikoarm anzulegen – und das gelingt mir. Letztlich will ich mir nicht selbst vorwerfen, dass ich mich nicht genug damit auseinandergesetzt habe. Und ohne Demut geht sowieso nichts. Wenn du denkst, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, dann stimmt was nicht. Ob an der Börse, im Business oder im Sport: gewinnen und verlieren – beides gehört dazu. Das soll jetzt nicht esoterisch klingen, aber ich glaube an so was wie einen Geldkreislauf.
Das ist eine schöne Umschreibung für Verluste. Erinnert mich an das Zitat: Ihr Geld ist nicht weg – es hat nur ein anderer.
Na ja, mit dem Geld ist es halt wie mit der Freundin. Wenn du krampfhaft versuchst, sie festzuhalten, läuft sie davon. Genauso wirst du dein Geld verlieren, wenn du dauernd Angst vor Verlusten hast. Es gibt keinen Investor, der nur gewinnt. Du kannst also ruhig mal was verlieren, es kommt auch wieder was zurück. Die ausgeprägte Verlustangst beobachte ich besonders bei Vermögenden. Wahrscheinlich weil bei ihnen die Fallhöhe so groß ist.
Foto: T1TAN
Wie sieht es bei dir aus: Hast du Angst vor dem Ende deiner Torwartkarriere? Und davor, dass das Geld dann nicht reicht? Du bist schon 34, und dein Vertrag läuft im Sommer aus.
Diese Angst kennt jeder Fußballer. Auch ich hatte Zeiten, da dachte ich: Wenn ich jetzt aufhören muss, was mache ich dann bloß? Es ist ja auch eine Herausforderung, seine Zeit auszufüllen. Aber mal ehrlich: Vor allem ist es ein riesiges Privileg. Wer kann schon mit Mitte 30 mit einer so guten finanziellen Absicherung und einem so guten Netzwerk seine zweite Karriere starten?
Wie wird sie aussehen, deine zweite Karriere?
Ganz ohne Fußball wird es nicht gehen. Ich bin schon vor zwei Jahren in eine Torwarthandschuhfirma eingestiegen. Sie heißt T1tan, geschrieben mit einer „1‟ statt „i‟ im Namen, weil die Eins die Rückennummer des Torhüters ist. Die Firma wurde 2013 gegründet, Zielgruppe sind Amateurkeeper. Selbst die brauchen vier bis sechs Paar Handschuhe pro Jahr. Das ist ein großer finanzieller Posten für sie. Ich weiß noch, wie bei mir schon als Teenager alles Ersparte und jedes Weihnachtsgeschenk für Handschuhe draufgegangen sind. Ein Paar kostet normalerweise so 100 bis 200 Euro. Wir bieten unsere Handschuhe für nur 60 Euro an.
Wie schafft ihr das?
Über den digitalen Vertrieb, indem wir die Einzelhändler ausklammern. Unsere Handschuhe hängen nicht bei Sport Scheck zwischen denen von fünf anderen Herstellern. Wir verkaufen online. Und wir stecken einen Großteil von dem, was wir erwirtschaften, ins Marketing, vor allem im Social-Media-Bereich, um schnell zu wachsen. Typisch Start-up halt.
Und du bist der Frontmann.
So würde ich das nicht sagen. Wir sind ein eingeschworenes, tolles Team, und ich bin ein authentischer Botschafter nach außen. Aber ich gebe nicht nur mein Gesicht her und bin alles andere als ein stiller Gesellschafter. Ich lebe auch meine Leidenschaft aus und entwickle die Handschuhe mit. In unserer Firma gibt es kein Produkt, an dem ich nicht mitgearbeitet habe. Das Wichtigste beim Handschuh ist übrigens der Grip. Bei Profihandschuhen ist er meist nach drei Matches abgerieben. Dann kannst du sie wegwerfen. Dem Profi ist das egal, aber einem Amateur kannst du so etwas nicht anbieten. Unsere Handschuhe haben deshalb einen brutal starken Grip, der trotzdem langlebig ist.
Du wirst nach deiner Spielerkarriere aber nicht nur für T1tan arbeiten, oder?
Nein. Vielleicht werde ich auch Experte im Fernsehen. Oder Funktionär. Oder Manager in einem Verein. Vor allem aber sehe ich mich künftig als Unternehmer, der sein Netzwerk pflegt und sich an weiteren Firmen beteiligt.
Scheint so, als ob du in Gedanken schon alle Möglichkeiten durchspielst.
Ja, ich bin ein sehr reflektierter Mensch. Und einer, der selbstkritisch ist. Für die Zeit nach der aktiven Karriere ist das von Vorteil. Aber im Leistungssport ist das natürlich nicht immer optimal. Da brauchst du ein dickes Fell und musst denken: Ich bin sowieso der Größte. Auch wenn es Kritik hagelt.
Wer sind die drei größten Torhüter aller Zeiten, René?
Lev Yashin (Russland, Nationaltorwart von 1954 bis 1970)
Peter Schmeichel (Dänemark, Nationaltorwart von 1988 bis 2001)
Gianluigi Buffon (Italien, Nationaltorwart von 1997 bis 2017)
__Nervt dich Kritik und der Medienrummel im Fußball-Business? __
Das nicht. Und ich will auch gar nicht jammern. Ich musste nur akzeptieren, dass ich zwei Dinge nicht ändern kann: mein Naturell und die Fußballbranche. Es hilft ja nichts zu sagen: Der Fußball ist mir zu oberflächlich. Der Fußball bleibt, wie er ist. Und ich auch. Ich kann mich nur so aufstellen, dass ich in diesem System so gut wie möglich funktioniere.
Wie machst du das?
Mit meinem eigenen Team aus Arzt, Physiotherapeut und Mentaltrainer. Mein Arzt, der unabhängig vom Verein ist, sagt auch mal: Spiel nicht, du riskierst deine Gesundheit! Und der Mentaltrainer hilft mir, mich richtig einzustellen und nicht zu verkrampfen. Denn wenn der Kopf nicht frei ist, verletzt du dich leichter.
Du warst in deiner Karriere ziemlich oft verletzt. Auch jetzt kannst du wegen einer Knieverletzung seit Monaten nicht spielen. Alles Kopfsache?
Fußball ist ein Kontaktsport, da lassen sich Verletzungen nicht vermeiden. Mund abputzen, Reha und weiter – anders geht es nicht. Trotzdem glaube ich, dass der größte Anteil an Verletzungen daher kommt, dass man nicht in seiner Mitte ist, sich selbst zu viel Druck macht. Ich bin ein Paradebeispiel dafür. Im Osten aufgewachsen, mit einer typischen Arbeitermentalität, rackere ich eher zu viel und bin nie zufrieden. Diese Eigenschaften haben mich zwar bis in die Nationalmannschaft gebracht. Aber sie haben wahrscheinlich auch dazu geführt, dass ich mein Potenzial nicht ganz ausgeschöpft habe.
Wie meinst du das?
2010 habe ich mir eine Rippe gebrochen. Ich konnte nicht zur WM nach Südafrika fahren. Das war eine komische Verletzung. Da ist keiner voll in mich reingerauscht. Es kam eher schleichend, ich hatte einfach zu viel Druck in mir. In Südafrika wollte ich unbedingt als Nummer eins für Deutschland was reißen, mit dem gesamten Team in die Weltspitze vorstoßen. Es lag auch an meiner verbissenen Art, dass ich nicht teilnehmen konnte. Mein sportliches Trauma – total bitter. Aber ich habe viele Erkenntnisse dadurch gewonnen.
Welche?
Ich weiß heute zum Beispiel, dass ich viel klarer und leistungsfähiger bin, wenn ich morgens meditiere. Ich musste einfach lernen, demütiger und gelassener zu werden. Ich weiß noch, wie mich meine Freundin nach meinem ersten Spiel in Dortmund mal gefragt hat, wie’s im Stadion war. Ich hatte keine Ahnung, ich hab’ die Atmosphäre überhaupt nicht wahrgenommen, weil ich es mir gar nicht erlaubt habe, auf die Südtribüne zu gucken. Stattdessen war ich wie in jedem Spiel 90 Minuten lang stur auf den Ball fixiert, sogar wenn wir eine Ecke hatten. Das war extrem kräftezehrend. Nach dem ersten Bundesligajahr in Leverkusen konnte ich auf der Heimfahrt im Bus nicht mal einen Film schauen, so leer war ich im Kopf. Ich hätte das nie durchgehalten. Durch autogenes Training und mit Hilfe meines Mentaltrainers habe ich gelernt, auch mal loszulassen.
Geht das überhaupt – in einem Bundesligaspiel einfach mal abschalten?
Ja. Ich nehme mir im Spiel heute richtige Auszeiten, lasse meinen Blick auch mal bewusst durchs Stadion schweifen und genieße die Stimmung. Ich weiß ja, dass ich dadurch viel besser spiele. Das ist generell im Leben so: Du kannst in einer Sache nur gut sein, wenn du richtig Freude daran hast. Das macht auch den Unterschied in der Weltspitze aus. Körperlich kannst du dir im Leistungssport praktisch keine Vorteile mehr verschaffen. Da sind alle mehr oder weniger gleich stark. Wenn du einen echten Vorsprung hast, dann kommt der definitiv aus dem mentalen Bereich.
Hat Manuel Neuer diesen Vorsprung?
Ich denke schon. Sein Teamkollege im Tor der Nationalelf, Marc-André ter Stegen, ist vielleicht sogar der filigranere, ausgefeiltere Fußballer, mit einer enorm guten Schlagtechnik. Was an Manu jedoch beeindruckt, ist seine totale Unbekümmertheit. Egal ob Champions-League-Finale oder Freundschaftsspiel: Er gambelt immer ein bisschen, spielt mit der Leichtigkeit eines A-Jugend-Spielers. Wo viele Torhüter nur nach Schema F. agieren, handelt er auch mal völlig unorthodox. Es ist eine Riesenstärke, den Druck und die immensen Erwartungen so easy zu nehmen.
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