Erst ein schneller Absturz von mehr als 30 Prozent, seither wieder mehr als 25 Prozent Plus: Die jüngsten Kursgewinne können Anleger froh stimmen – oder misstrauisch werden lassen. Womöglich befinden wir uns nicht in einem neuen Bullenmarkt, sondern in einer Bärenmarkt-Rally. Davon sprechen Börsianer, wenn die Kurse innerhalb einer Abwärtsbewegung zwischenzeitlich wieder steigen. In früheren Börsenkrisen gab es oft Erholungen, bevor ein noch tieferer Absturz kam.
Der US-Aktienindex S&P 500 ist in den vergangenen 90 Jahren zehnmal von einem Allzeithoch mindestens 20 Prozent abgerutscht. Ab einem Verlust von diesem Ausmaß spricht man von einem Bärenmarkt. Mal war es ein Absturz innerhalb weniger Wochen, etwa rund um den Schwarzen Montag 1987, mal ein Kursrutsch über Jahre wie in der Weltwirtschaftskrise ab 1929. Bei sechs dieser zehn Bärenmärkte erholten sich die Kurse nach dem ersten 20-Prozent-Einbruch um mindestens zehn Prozent, bevor sie noch tiefer fielen. Bärenmarkt-Rallys von knapp 25 Prozent oder mehr gab es nur in zwei Börsenkrisen seit 1928.
In der Weltwirtschaftskrise ab 1929 bäumte sich die US-Börse auf dem fast drei Jahre langen Weg zum Tief siebenmal um mindestens zehn Prozent auf, davon dreimal um mehr als 25 Prozent. Bei der kräftigsten Zwischenerholung ab dem späten Herbst 1929 betrug das Plus sogar 47 Prozent. Diese Phase zog sich über fast fünf Monate hin – wer ist da nicht verleitet zu glauben, dass es weiter aufwärts geht?
In der Finanzkrise von 2007 bis 2009 erholte sich die US-Börse vor Erreichen des Tiefpunkts dreimal um zehn Prozent oder mehr, darunter einmal um gut 24 Prozent.
Verlauf des S&P-500-Index* während der Finanzkrise ab Oktober 2007: Auf den Kursrutsch um 20 Prozent vom Hochpunkt folgten bis zum Erreichen des Tiefpunkts im März 2009 drei Bärenmarkt-Rallys mit Gewinnen von mindestens 10 Prozent.
Das Kursplus der letzten Wochen heißt also mit Blick auf die Vergangenheit nicht, dass die Krise überwunden ist. Und was sagt uns die Dauer vergangener Bärenmärkte? Seitdem der jüngste Kursrutsch begann, sind gerade einmal etwas mehr als zwei Monate vergangen. Im historischen Vergleich ist das keine lange Zeitspanne:
Anleger mussten also zum Teil sehr geduldig sein, bis die Kursverluste ausgesessen waren. Wer zu Beginn des Bärenmarktes noch fünf Jahre Zeit hatte, an der Börse zu bleiben, der stand nach dieser Zeit allerdings in sieben von zehn Fällen mit teils kräftigen Kursgewinnen da. Zu beachten ist: Wir betrachten hier jeweils den Verlauf des S&P-500-Index. Würde man Dividenden einrechnen, wäre die Zeit bis zum Wiedererreichen der Vorkrisenstände jeweils etwas kürzer, die erzielte Performance für den Anleger höher.
Wie immer liefert der Blick auf die Daten vergangener Jahre nur Anhaltspunkte. Nach welchem Muster die derzeitige Krise verläuft, kann niemand zuverlässig prognostizieren. Weitere Kursverluste in der nächsten Zeit erscheinen zumindest nicht unwahrscheinlich, auch mit Blick auf die nach wie vor angespannte Risikolage.
Falsch wäre es allerdings, deswegen jetzt den Kapitalmärkten fernzubleiben und nur auf Cash zu setzen. Wer das tut, läuft Gefahr, den nächsten Aufschwung zu verpassen. Indem man sich neben Aktien weitere Anlageklassen ins Depot legt, etwa Staatsanleihen, Unternehmensanleihen und Rohstoffe, lassen sich weitere Rückschläge an den Aktienbörsen abfedern. Und wenn sich die letzte vermeintliche Bärenmarkt-Rally schließlich als Beginn eines neuen Bullenmarkts entpuppt, profitiert der Anleger zumindest mit dem Aktienanteil vom Kursanstieg.
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