Coronavirus belastet Börsen: Sollten Anleger jetzt handeln?

27. Februar 2020  |  Prof. Dr. Stefan Mittnik
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An den Aktienmärkten geht es wieder turbulent zu. Cool bleiben oder aussteigen? Welche Strategie aussichtsreicher ist, verrät eine Analyse früherer Risikoschocks.

Die jüngsten Meldungen über die Verbreitung des Coronavirus haben die Wahrscheinlichkeit einer globalen Ausbreitung nach Einschätzungen von Epidemiologen erhöht. Auch die Finanzmärkte haben darauf reagiert und am 24. Februar die weltweiten Aktienbörsen abrutschen lassen. Der Dax brach um 4,0 Prozent ein und der breitere S&P-500-Index in den USA um 3,4 Prozent. Auch an den beiden Folgetagen gab der S&P 500 nach, am ersten um 3,0 und am zweiten um 0,4 Prozent. Nach so einem Rücksetzer stellen sich Anleger die Frage: War’s das? Oder ist mit einer länger anhaltenden Talfahrt zu rechnen? Und: Soll man raus aus Aktien?

Ein Blick auf den historischen Verlauf des S&P 500 über die letzten 30 Jahre zeigt zunächst, dass Tagesverluste von drei oder mehr Prozent nichts Außergewöhnliches sind. Sie traten seit 1990 insgesamt 80-mal auf, im Schnitt also alle viereinhalb Monate. Dabei jedes Mal das Depot leerzuräumen dürfte keinen Sinn machen. Aus einem anderen Blickwinkel war der Tag aber doch ungewöhnlicher, als es der Kursverlust vermuten lässt.

Sprunghafter Risikoanstieg

Das Risiko am US-Aktienmarkt, gemessen am Volatilitätsindex des S&P 500, dem VIX, legte fast um die Hälfte zu. Er sprang von 17,1 auf 25,0. Eine Volatilität von 25 ist für den S&P 500 kein exorbitanter Wert. An mehr als 1.200 Tagen übertraf er diesen Wert in seiner 30-jährigen Geschichte. Aber ein relativer Anstieg um mehr als 45 Prozent ist ungewöhnlich. Nicht an 80, sondern an nur acht Tagen machte der VIX einen größeren Sprung.

Gibt dieser Risikoanstieg eher Anlass zur Sorge? Die folgende Tabelle betrachtet die 25 größten Tagessprünge des VIX und die Entwicklung des S&P 500 im jeweiligen Folgemonat, -quartal und -jahr.*

Wertentwicklung des S&P 500 nach den 25 größten prozentualen Anstiegen des VIX

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1 Zeitperiode nicht komplett; Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen. Hinweis: Weder vergangene Wertentwicklungen noch Prognosen haben eine verlässliche Aussagekraft über zukünftige Wertentwicklungen.

 
Der stärkste VIX-Anstieg erfolgte im Februar 2018 als sich der Vola-Index von einem Handelstag auf den nächsten mehr als verdoppelte. Dies hatte aber kurz- und mittelfristig keine negative Auswirkung auf die Performance des S&P 500. Das US-Börsenbarometer stieg bereits im Folgemonat um 2,9 und über sechs Monate um 7,6 Prozent. Nur in 28 Prozent der Fälle (sieben von 25) lieferte der Index eine negative Monatsperformance nach dem Risikoschock. Nach sechs Monaten reduzierte sich der Misserfolgsanteil auf 20 Prozent und auf 12,5 Prozent (3 von 24) nach zwölf Monaten. Im Mittel ergab sich eine durchweg positive Kursentwicklung nach den 25 größten Schocks. Mit der Länge des Betrachtungszeitraums wuchs die durchschnittliche Performance von 1,2 Prozent nach einem Monat auf 12,6 Prozent nach zwölf Monaten.

Die Erfahrung der letzten 30 Jahre lehrt also, dass ein Ausstieg aus Aktien nach einem kurzen, heftigen Risikoschub und ein Verharren an der Seitenlinie in der Regel mit Performance-Verlusten einhergeht. In zwei Drittel der Fälle lag die Zwölf-Monats-Performance des S&P 500 nach einem solchen Risikoschock sogar höher als seine durchschnittliche Jahresperformance seit 1990.

Nicht auf erste Kursbeben reagieren

Bedeutet das nun, dass man sich keine Sorgen machen sollte? Nicht ganz. Steigt das Risiko auf hohe Niveaus und verbleibt dort, geht das häufig mit einer schwächelnden Börse einher. So ein Anstieg kommt aber nicht unbedingt mit einem Knall. Er kann sich sukzessive über Wochen oder Monate aufbauen und dabei die Kurse nach unten drücken. Während der gesamten Dotcom-Krise zu Anfang des Jahrtausends gab es keinen Tag, der es in unsere Top-25-Liste schaffte. Der VIX erreichte trotzdem ungesunde Niveaus und harrte dort über längere Zeit aus – eine Phase, in der der S&P 500 fast die Hälfte seines Wertes einbüßte. Ähnlich sah es in der Finanzkrise aus. Hier schaffte lediglich ein Tag den Sprung auf die Schocker-Liste. Und dabei landete er nur im hinteren Drittel. Der Risikoaufbau begann bereits Monate vor dem Lehman-Konkurs. Im Kontrast zu den Krisenphasen stieg in den sehr starken und relativ ruhigen Börsenjahren 2017 und 2019 das Risiko kurzfristig deutlich an.

Für den Anleger bedeutet all dies, dass er typischerweise nicht auf die ersten ein, zwei größeren Beben reagieren sollte. Und erst recht nicht, wenn er eine risikogesteuerte Investmentstrategie verfolgt. Vielmehr sollte die Risikoanalyse prüfen, ob ein Anstieg nachhaltig ist, bevor das Depot umgebaut wird. Am Aktienmarkt zu investieren und Verluste komplett zu vermeiden, ist unmöglich. Aber Verluste in Buy-and-hold-Manier voll mitzunehmen ist auch nicht zu empfehlen. Die Vorteile einer dynamischen Risikomanagement-Strategie kommen gerade dann zum Tragen, wenn sich das Risiko graduell aufbaut und längere Zeit auf hohem Niveau verharrt. Sofortiges Eingreifen nach einem heftigen Risikoschock sollte hingegen nicht zum Repertoire einer risikobasierten Anlagestrategie gehören.

*Genauer: jeweils nach 21, 63, 126 und 252 Handelstagen.

Risikohinweis – Die Kapitalanlage ist mit Risiken verbunden und kann zum Verlust des eingesetzten Vermögens führen. Weder vergangene Wertentwicklungen noch Prognosen haben eine verlässliche Aussagekraft über zukünftige Wertentwicklungen. Wir erbringen keine Anlage-, Rechts- und/oder Steuerberatung. Sollte diese Website Informationen über den Kapitalmarkt, Finanzinstrumente und/oder sonstige für die Kapitalanlage relevante Themen enthalten, so dienen diese Informationen ausschließlich der allgemeinen Erläuterung der von Unternehmen unserer Unternehmensgruppe erbrachten Wertpapierdienstleistungen. Bitte lesen Sie auch unsere Risikohinweise und Nutzungsbedingungen.

 

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Stefan Mittnik
Prof. Dr. Stefan Mittnik
GRÜNDER, WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT
Stefan ist Professor für Finanzökonometrie und Direktor des Center for Quantitative Risk Analysis an der Ludwig-Maximilians-Universität in München sowie Fellow am Center for Financial Studies (CFS) in Frankfurt. Nach der Promotion in den USA lehrte er in New York und Kiel, bevor er 2003 nach München wechselte. Er war Mitglied des Forschungsbeirates der Deutschen Bundesbank, Fachkollegiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie Forschungsdirektor am CFS und Ifo-Institut und hatte mehrere Gast- und Ehrenprofessuren in den USA inne. Seit rund 30 Jahren forscht er zu Fragen der Analyse, Modellierung und Prognose von Finanzmarktrisiken und entwickelt Verfahren, bei denen empirische Relevanz statt finanzmathematischer Eleganz im Vordergrund stehen.