Die vorgezogene Bundestagswahl hat nicht nur die Wahlorganisatoren unter Druck gesetzt. Auch die Parteien mussten in aller Eile ihre Wahlprogramme formulieren. Eine Folge: Die 2025er Wahlprogramme sind weniger umfangreich als die von 2021. Hatten damals die Wahlprogramme der sechs Parteien mit den größten Chancen auf Einzug in den Bundestag noch einen durchschnittlichen Umfang von 114 Seiten, so sind es jetzt nur noch 92 Seiten, also rund ein Fünftel weniger. Wobei es bei dieser Wahl dank des BSW sieben Parteien sind, die einigermaßen realistische Aussichten haben, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. Ob die Würze bei der Kürze zu kurz gekommen ist, sei dahingestellt.
Eine numerische Auswertung der Häufigkeit ausgewählter Wörter bzw. Wortbestandteile zeigt, dass die Parteien bei den anstehenden Wahlen vorwiegend mit altbekannten Themen zu punkten hoffen. Der Begriff „steuer“ kommt in den sieben Parteiprogrammen durchschnittlich 1,37 Mal pro Seite vor. Im letzten Wahlkampf lag die Häufigkeit bei 1,08, gefolgt von „bildung“ mit 1,22 (zuvor 1,24), „sozial“ mit 1,17 (1,08), „klima“ mit 1,08 (0,80) und „finanz“ mit 0,87 (0,82).
Die äußeren Ereignisse während der vergangenen Legislaturperiode haben die Häufigkeit bestimmter Begriffe in die Höhe schnellen lassen. Waren die Worte „krieg“ oder „frieden“ in den 2021er Programmen durchschnittlich nur 0,41 Mal pro Seite zu lesen, so finden wir sie jetzt 0,68 Mal. Neben „klima“ wird auch das Thema „energie“ stärker betont. Die Frequenz stieg von 0,50 auf 0,63. Verloren haben hingegen die Begriffe „corona“, „covid“ und „pandemie“. Fand man eines dieser drei Wörter im letzten Wahlkampf im Schnitt auf jeder zweiten Seite, so muss man in den aktuellen Programmen in der Regel sechs Mal umblättern, um sie zu finden.
Unsere Durchschnittsbetrachtung sagt etwas über die generelle Relevanz eines Themas im Wahlkampf aus. Der Kampf der Parteien besteht jedoch darin, genau die Themen zu forcieren, die ihre Stammwählerinnen und -wähler bei der Stange halten und zudem noch möglichst viele Stimmen aus dem Kreis der zusätzlich gewinnbaren Stimmen zu ergattern. Dass bestimmte Themen in der Durchschnittsbetrachtung zu den Topthemen gehören, ist im Wesentlichen ein Verdienst der Partei Die Linke. Ihr Wahlprogramm weist die höchste Dichte an den Schlagworten auf, die die Top 5 ausmachen.
Beim Top-Thema „steuer“ kämpft die Linke mit hoher Intensität: 2,67 Mal kommt der Begriff durchschnittlich pro Programmseite vor. Es folgt die FDP mit 1,73 Nennungen. Die AfD hält sich hier mit einer Häufigkeit von 0,88 pro Seite zurück. Nur die Grünen sind mit 0,50 noch zurückhaltender. Auch bei der „bildung“, dem Runner-Up im Themenranking, ist die Streuung groß, wobei auch hier Die Linke mit einer Häufigkeit von 2,02 die Spitzenposition einnimmt, wiederum gefolgt von der FDP mit 1,58. Schlusslicht ist die AfD mit 0,44. Wer vermutet hätte, dass die Sozialdemokraten bei „sozial“ das Rennen machen, sieht sich getäuscht. Auch hier ist die Linke mit 2,95 einsame Spitze, gefolgt vom BSW (1,22). Erst mit 1,08 folgt die SPD. Schlusslicht ist hier erneut die AfD (0,53). Die FDP sticht bei den Themen „digital“ (1,42) und „innovativ“ (0,85) hervor. Wenig Relevanz sehen hier Die Linke (0,48; 0,13) und die AfD (0,29; 0,11).
Wie ähnlich sind sich die Parteien in der Betonung bestimmter Wahlkampfthemen? Darüber gibt die weiter unten stehende Tabelle Auskunft. Sie zeigt die Rangfolge der Nähe der Parteien, die sich aus den Korrelationen der Themenhäufigkeiten ergibt. Im Durchschnitt über alle 21 denkbaren Partei-Paarungen beträgt die Korrelation 0,54. Werte darüber (darunter) deuten auf ähnlichere (weniger ähnliche) Schwerpunktsetzung in den Programmen hin. Eine Korrelation von +1 bedeutet vollständige Übereinstimmung, ein Wert von null bedeutet keine systematische Übereinstimmung.
Korrelationale Nähe der Parteien hinsichtlich der thematischen Schwerpunktsetzung in ihren Wahlprogrammen. Im Mittel über alle 21 denkbaren Partei-Paarung liegt die Korrelation um 0,54. Grüne (gelbe, rote) Farbe signalisiert eine überdurchschnittliche (durchschnittliche, unterdurchschnittliche) Korrelation in der Schwerpunktsetzung.
AfD |
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BSW |
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CDU/CSU |
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Die Linke |
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FDP |
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Grüne |
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SPD |
Quellen: Wahlprogramme der Parteien, eigene Berechnungen
Was die Häufigkeit der Nennung spezifischer Themen anbelangt, liegen Union und FDP am nächsten beieinander. Mit einer Korrelation von 0,90 bilden sie das Traumpaar Nummer eins. Keine der beiden Parteien kann einen thematisch attraktiveren Partner für das Koalitionsbett finden. Dies setzt allerdings voraus, dass das Koalieren mit der Juniorpartnerin nicht an der Höhe der Bettkante scheitert. Zum Regierungsglück würde das für die Union jedoch nicht reichen.
Mit der thematisch zweitbesten Alternative, der AfD (0,65), würde es zwar, doch trotz aller thematischer Attraktivität dürfte sich das gemeinsame Glück aufgrund anderer, allseits beklagter Schönheitsfehler dieser Kandidatin nicht einstellen. Dann blieben der Union wohl nur noch polyfidele Partnerschaften zur Mehrheitserlangung. Zum Beispiel: Sollte es die eigentliche Geliebte, die FDP, schaffen, könnte die SPD (0,52) als Vernunftpartnerin die Dritte im Bunde sein. Allerdings hat die SPD der FDP in der letzten gemeinsamen Dreierbeziehung vorzeitig den Laufpass gegeben, was ein erneutes Zusammenkommen erschweren mag. Aber wie auch in anderen Ex-Beziehungen besteht, wenn’s darauf ankommt, auch hier Hoffnung auf schnelles Verzeihen.
Die Union könnte es auch mit den von ihr weniger heiß geliebten Grünen (schwache 0,41) versuchen, bräuchte aber wohl auch hier einen dritten Partner. Neben der FDP stünden mit dem BSW (0,39) und der Linken (0,31) nicht gerade die attraktivsten Kandidaten zur Auswahl. Mangels gegenseitiger Zuneigung dürfte daher selbst eine vier Jahre befristete Koalitionsehe nicht zustande kommen.
Das zweite Traumpaar bilden SPD und Die Linke. Mit einer Korrelation von 0,77 nicht ganz so traumhaft wie das Traumpaar Nummer eins. Aber keinem von beiden bietet sich ein passenderer Fit. Die Grünen wären für die SPD mit 0,66 nur zweite Wahl – und das auch nur recht knapp vor der FDP (0,60) und der AfD (0,58). Was die Themenschwerpunktsetzung anbelangt, so dürfte die SPD am wenigsten unter Exklusionsproblemen (sprich: Ausschließeritis) leiden. Ihr Wahlprogramm lässt diesbezüglich keine thematische Abneigung gegenüber den anderen Konkurrentinnen erkennen. Eine mittlere Nähe besteht zum BSW (0,54). Die geringste Schnittmenge besteht ausgerechnet mit der Union (0,52), wo doch gerade der Bildung dieser mittelgroßen Koalition gute Chancen eingeräumt werden.
Am schwierigsten dürfte sich die Partnersuche für die Grünen gestalten. Lediglich mit der SPD weisen ihr Parteiprogramm eine überdurchschnittliche Übereinstimmung in den Schwerpunkten auf. Mit der Linken (0,53) wäre sie immerhin noch durchschnittlich. Mit allen anderen stehen die Grünen mit ihrer Einschätzung zur Themenrelevanz auf Kriegsfuß, insbesondere – nicht ganz überraschend – mit der AfD (0,30).
Ähnliche thematische Schwerpunktsetzung in den Parteiprogrammen bedingt jedoch keine programmatische Nähe. Thematische Nähe bedeutet lediglich, dass zwei Parteien in Aussicht stellen, an denselben Strängen ziehen zu wollen. Programmatische Nähe setzt voraus, dass beide Parteien nicht nur beabsichtigen, an denselben Strängen, sondern auch an denselben Enden dieser Stränge zu ziehen. So halten sowohl die Linke als auch die FDP beide das Thema „steuer“ für besonders wichtig. Bei der Frage, in welche Richtung die Steuersätze gezogen werden sollen, dürfte es ein heftiges Tauziehen geben, bis die Stricke reißen.
Alle Zweierpaarungen, die in der obigen Rang-Tabelle jeweils ganz vorne platziert sind, dürften aber auch aufgrund der programmatischen Positionen prinzipiell koalitionsfähig sein. Wenn erforderlich, könnten sich auch verschiedene Dreierbeziehungen zusammenfinden. Hier wäre aber die Gefahr groß, dass das Tauziehen in den Koalitionsverhandlungen vorzugsweise mit elastischen Seilen stattfindet, so dass zunächst – mit Hilfe vager Koalitionsvereinbarungen – jeder mehr oder weniger auf seinen Positionen verharren kann, und die eigentlichen Positionskämpfe in die Regierungszeit verlagert werden. Treten dann aber unüberbrückbare Differenzen zutage, ist die Beziehungskrise schnell da, so dass – möglicherweise schneller als von den Wahlorganisatoren geplant – die Partnersuche von neuem beginnt.
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