Robo-Advice: Was die Wissenschaft dazu sagt

30. August 2019  |  Prof. Dr. Stefan Mittnik
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Zwei wissenschaftliche Studien haben untersucht, was Robo-Advisors dem Anleger bringen.
Die Ergebnisse sind ziemlich eindeutig.

Vor rund zehn Jahren ging es los: Die ersten digitalen Vermögensverwalter, auch Robo-Advisors genannt, betraten die Investment-Bühne. Ihr Ziel: mit Hilfe von Technologie eine professionelle Vermögensverwaltung anzubieten – so unkompliziert und kostengünstig, dass sie auch für Anleger mit weniger Kapital und Erfahrung geeignet ist. Eigentlich reicht ein Zeitraum von einer Dekade bei weitem nicht aus dafür, dass sich die Wissenschaft mit dem Phänomen auseinandersetzt. Doch die automatisierte Geldanlage hat viel Anklang gefunden, sodass sich die ersten Forschergruppen dem Thema gewidmet haben. Profitieren Anleger von Robo-Advice? Und wenn ja: Was bringt die digitale Geldanlage konkret und für welche Anlegertypen ist sie besonders geeignet? Zu diesen Fragen sind zwei aktuelle Studien erschienen.

Mehr Performance mit dem Robo

Die eine wurde im Mai in der renommierten Fachzeitschrift Review of Financial Studies veröffentlicht mit dem Titel „The Promises and Pitfalls of Robo-Advising“1 – auf Deutsch: die Versprechen und Fallstricke von Robo-Advice. Die drei Wissenschaftler werteten Daten eines indischen Online-Brokers aus, der seinen Kunden einen automatisierten Portfolio-Optimierer anbot, dessen Empfehlungen die Anleger mit „nur einem Klick“ umsetzen konnten. Mehr als 12.000 Anleger wählten das Angebot. Die Wissenschaftler ermittelten Struktur und Performance der Portfolios – vor und nach dem Wechsel zur automatisierten Geldanlage. Und sie verglichen die Ergebnisse mit den Depots derer, die lieber weiterhin in Eigenregie investierten. Was kam dabei heraus?

  1. Fortgeschrittene Anleger mit mehr Kapital wählten etwas häufiger die Robo-Variante. Zudem waren die Robo-Nutzer etwas älter, aber auch etwas unerfahrener als die „Do-it-yourself“-Anhänger. Das Geschlecht hatte keinen Einfluss auf die Wahl.
  2. Die Robo-Nutzer beobachteten ihr Depot häufiger und handelten öfter.
  3. Die Robo-Advice-Nutzer erzielten nach Kosten eine höhere Performance als die selbst entscheidenden Anleger.
  4. Wer vor dem Umstieg auf den Robo nur wenig diversifiziert hatte, dessen Portfolio wurde danach signifikant stärker diversifiziert. Gleichzeitig sank die Volatilität – sprich: das Risiko – des Depots.
  5. Wer zuvor schon stark diversifiziert hatte, bei dem wirkte sich der Umstieg auf den Robo weder bei der Diversifikation noch bei der Performance maßgeblich aus.
  6. Robo-Nutzer tappten bei weitem nicht so oft in die typischen Psychofallen, die auf Dauer meist viel Performance kosten. Dazu gehören etwa Dispositionseffekte (das zu frühe Verkaufen von Gewinnern und Festhalten an Verlierern), das Aufspringen auf Trends und der Rangeffekt (die Tendenz, verstärkt Tops und Flops zu handeln). All das war bei Robo-Nutzern deutlich seltener zu beobachten.

Unterm Strich heißt das: Investoren, die – wie große die Mehrheit der Anleger – zu psychologischen Anlagefehlern oder Unterdiversifikation neigen, profitieren von Robo-Advice besonders stark.

Selbstentscheider schneiden am schlechtesten ab

Die zweite Studie stammt von vier Finanzmarktforschern aus Belgien und den USA. Vorgestellt wurde sie im Juli unter dem Titel „Artificial Intelligence Alter Egos: Who benefits from Robo-Investing?“2 Sie geht der Frage nach: Wie stark können Investoren von quantitativen Anlagestrategien, die typisch für Robo-Advisors sind, profitieren? Dazu analysierten die Wissenschaftler mehr als 1,6 Millionen Aktien- und ETF-Trades von rund 23.000 belgischen Privatanlegern in den Jahren 2003 bis 2012. Und sie prüften, wie diese Anleger im Vergleich zu drei strikt regelbasierten Investmentstrategien abgeschnitten hätten. Diese regelbasierten Ansätze wurden dabei betrachtet:

Ansatz 1: „Buy and hold“ mit Gleichgewichtung aller Investments und regelmäßigem Rebalancing.
Ansatz 2: Eine sogenannte Mean-Variance-Optimierung (MVO), bei der versucht wird, das Rendite-Risiko-Verhältnis zu optimieren. Die Inputgrößen – erwartete Renditen, Volatilitäten und Korrelationen – wurden dabei jeweils anhand von Tagesdaten der vorigen zwei Jahre berechnet.
Ansatz 3: Der gleiche MVO-Ansatz wie in Ansatz 2, allerdings wurden die Inputgrößen hier zum einen mit konventionellen und zum anderen mit moderneren Verfahren des maschinellen Lernens (kurz: MVO-ML-Ansätze) bestimmt.

Die Ergebnisse der Studie:

  1. Der typische selbst entscheidende Anleger schnitt am schlechtesten ab. Er schaffte über den gesamten Zeitraum eine mittlere (Median) Gesamtrendite von knapp 20 Prozent. Mehr warfen die Buy-and-hold-Strategie und der klassische MVO-Ansatz ab – gut 30 Prozent. Die besten Ergebnisse erzielten die MVO-ML-Ansätze. Sie gewannen zwischen 55 und 60 Prozent.
  2. Das ähnliche Abschneiden der MVO-ML-Ansätze deutet darauf hin, dass die Wahl der ML-Methodik nicht entscheidend ist. Selbst klassische Verfahren der Regressionsanalyse führten zu ähnlichen Ergebnissen wie neuere Strategien.
  3. MVO-ML-Ansätze federten starke Verluste am besten ab. Der Analysezeitraum umfasst den Kurseinbruch in der Finanzkrise samt anschließender Erholung. Während der typische Selbstentscheider in dieser Phase zwischenzeitlich zwei Drittel seines Anlagevermögens einbüßte (Maximum Drawdown), verloren die automatisierten MVO-ML-Ansätze nur rund ein Viertel.
  4. Die Forscher haben die Anleger zudem in sechs Gruppen aufgeteilt. Dabei wurden Risikoaversion, Bildungsstand und Einkommen jeweils als „hoch“ oder „niedrig“ eingestuft. Keine der Untergruppen erreichte im Median die Performance der MVO-ML-Ansätze. Besonders stark profitierten Anleger mit hohem Bildungsniveau, hoher Risikoaversion und niedrigem Einkommen von einem Wechsel zu einem Robo-Advisor.
  5. Die Analyse der Handelsaktivitäten der Selbstentscheider zeigt, dass ihre geringere Performance zum Teil durch psychologische Fallstricke wie den Dispositionseffekt erklärt werden können.

Fazit: Die beiden Studien unterscheiden sich stark – sowohl im Ansatz als auch in den betrachteten Anlegergruppen. Dennoch kommen sie zu sehr ähnlichen Ergebnissen: Wer auf eine quantitative, automatisierte Investmentstrategie setzt, die obendrein systematisch die Anlagerisiken ins Kalkül zieht, kann langfristig mit einer besseren Performance rechnen als der typische Selbstentscheider. Die digitale Vermögensverwaltung ist also nicht nur auf dem Vormarsch, sie bietet Anlegern auch einen echten Mehrwert.

1Francesco D’Acunto, Nagpurnanand Prabhala, Alberto G. Rossi, The Promises and Pitfalls of Robo-Advising, Review of Financial Studies, Volume 32, Issue 5, Mai 2019, S. 1983–2020.
2Catherine D’Hondt, Rudy De Winne, Eric Ghysels, Steve Raymond, Artificial Intelligence Alter Egos: Who benefits from Robo-investing?, 6. Juli 2019, https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3415981.

Bild: Leonel Fernandez, unsplash.com

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Stefan Mittnik
Prof. Dr. Stefan Mittnik
GRÜNDER, WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT
Stefan ist Professor für Finanzökonometrie und Direktor des Center for Quantitative Risk Analysis an der Ludwig-Maximilians-Universität in München sowie Fellow am Center for Financial Studies (CFS) in Frankfurt. Nach der Promotion in den USA lehrte er in New York und Kiel, bevor er 2003 nach München wechselte. Er war Mitglied des Forschungsbeirates der Deutschen Bundesbank, Fachkollegiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie Forschungsdirektor am CFS und Ifo-Institut und hatte mehrere Gast- und Ehrenprofessuren in den USA inne. Seit rund 30 Jahren forscht er zu Fragen der Analyse, Modellierung und Prognose von Finanzmarktrisiken und entwickelt Verfahren, bei denen empirische Relevanz statt finanzmathematischer Eleganz im Vordergrund stehen.