Welche Anlagestrategie macht glücklich?

3. September 2020  |  Prof. Dr. Stefan Mittnik
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Unterschiedliche regelgebundene Investmentansätze liefern langfristig oft ähnliche Renditen. Ihre ungleichen Kursverläufe lassen die Emotionen von Anlegern aber ganz unterschiedlich schwanken. Eine empirische Betrachtung.

Wer sein Geld an den Aktienmärkten anlegen will, muss entscheiden, wie er dabei vorgeht. Grob betrachtet kann der Anleger zwischen zwei unterschiedlichen Ansätzen wählen: diskretionärem oder regelgebundenem Investieren. Der diskretionäre Investor entscheidet aufgrund der aktuellen Nachrichtenlage zu einzelnen Unternehmen, Branchen oder gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen. Liegt er mit seinen Einschätzungen, wie diese Nachrichten sich auf künftige Kursentwicklungen einzelner Wertpapiere auswirken, meist richtig, dann wird er überdurchschnittliche Anlageergebnisse erzielen. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass diskretionäres Stock-Picking – wenn überhaupt – nur einer kleinen Minderheit auf Dauer gelingt, denn oft ist es alles andere als eindeutig, welche Implikationen eintreffende Nachrichten auf die Kurs- und Risikoentwicklung einzelner Titel haben werden. Zu den möglichen Fehleinschätzungen kommen noch Psychofallen wie übertriebene Euphorie oder Angst beziehungsweise Optimismus oder Pessimismus, die zu irrationalem Verhalten führen und langfristig den Anlageerfolg diskretionärer Anleger zusätzlich drücken.

In einem früheren Blog-Artikel hatte ich Ergebnisse von wissenschaftlichen Studien zur Problematik der psychologischen Dimension vorgestellt, die zu dem Ergebnis kommen, dass der zweite Investmentansatz, das systematische, regelgebundene Vorgehen, langfristig erfolgversprechender ist. Es überrascht daher nicht, dass Profianleger vornehmlich auf systematische und datengetriebene Anlagekonzepte setzen. Es gibt allerdings eine schier unbegrenzte Vielfalt an mehr oder weniger ausgefeilten regelorientierten Anlagestrategien. Hier hat der Anleger die Qual der Wahl, diejenige herauszufinden, die am besten zu seinem Risikoappetit und seinen Renditevorstellungen passt. Darüber hinaus sollte er von der Plausibilität der Strategie überzeugt sein und für den Fall, dass er die Anlage selbst in die Hand nehmen will, diese auch – zu vertretbaren Kosten – selbst umsetzen können. Letzteres kann problematisch sein, wenn eine Strategie zum Beispiel hohe Datenanforderungen oder komplexen Rechenaufwand erfordert. Für den Anleger ergeben sich daher eine Reihe von Fragen. Zum Beispiel: Werde ich die Strategie konsequent umsetzen können? Wird sie langfristig erfolgreich sein? Werde ich mit der Strategie „glücklich“ sein?

Entscheidend sind Renditeerwartung, Verlustangst und tatsächliche Verluste

Es ist die letzte Frage, auf die wir uns im Folgenden konzentrieren wollen – wohlwissend, dass der Begriff „Glück“ universell kaum zu definieren ist. Ohne auf die vielfältigen Ergebnisse der Glücksforschung einzugehen, folgen wir hier den klassischen Vorstellungen des griechischen Philosophen Epikur, der Begierde, Furcht und Schmerz als die wesentlichen Hemmnisse zur wahren Lebensfreude festmachte. Übersetzt in unseren Kontext: Die Erfüllung von Renditeerwartung, die Angst vor Verlusten und tatsächlich erlittene Verluste bestimmen das Anlegerglück. Wir erweitern diese noch um die Komponente der relativen Gleichbehandlung, die der britische Ökonom Richard Layard ins Spiel brachte. Das Glücksempfinden steht und fällt nicht nur mit dem absoluten Erfolg, sondern auch damit, wie man relativ zu anderen abschneidet. Eine Rendite von fünf Prozent in einem Jahr mag mich durchaus glücklich stimmen. Erfahre ich aber, dass mein Kollege in der gleichen Zeit zehn Prozent erzielt hat, kann das mein Glücksempfinden empfindlich trüben. Hat der Kollege schlechter als ich abgeschnitten, ist es nicht notwendigerweise klar, wie das auf mein Glücksempfinden wirkt. Im Fall eines ungeliebten Kollegen könnte mir dies zusätzliches Glück bescheren. Handelt es sich um einen wohlgeschätzten Zeitgenossen, könnte ich Mitleid empfinden und mit ihm leiden.

Wie glücklich man mit einer Investmentstrategie ist, hängt also nicht nur vom absoluten Abschneiden ab, sondern auch davon, wie sie relativ zu anderen Strategien abschneidet. Dass unterschiedliche Ansätze, obwohl sie langfristig eine ähnliche Performance hinlegen, aufgrund ihrer asynchronen Verläufe temporäre Glücksschwankungen produzieren können, soll mit einer empirischen Betrachtung von unterschiedlichen Anlagestrategien illustriert werden. Ziel dabei ist nicht, „die beste“ Strategie zu finden, sondern zu demonstrieren, dass das Glücksempfinden im Zeitablauf heftige Kapriolen erfahren kann.

Qual der Wahl: Regelgebundene Strategien von „Saisonal“ bis „Buy & Hold“

Im Interesse der Überschaubarkeit beschränken wir uns auf sechs mehr oder weniger zufällig gewählte regelgebundene Strategien. Alle beruhen auf dem gleichen Anlageuniversum, bestehend aus US-Aktien- und Rentenfonds. Gewählt wurden folgende Fonds:
  • Vanguard Total Stock Market Index Fund Investor Shares (kurz: VTSMX): ein breiter US-Aktienfonds
  • Vanguard Total International Stock Index Fund Investor Shares (VGTSX): ein breiter internationaler Aktienfonds ohne US-Aktien
  • Vanguard Long-Term Treasury Fund Investor Shares (VUSTX): investiert in langlaufende US-Staatspapiere
  • Vanguard Short-Term Treasury Fund Investor Shares (VFISX): investiert in US-Staatspapiere mit kurzen Laufzeiten

Damit Leser die Übung eigenständig nachprüfen können, haben wir die Tools der frei zugänglichen Investmentanalyse-Plattform Portfolio Visualizer verwendet. Sie ermöglicht es anhand von sogenannten Backtests, also anhand von Rückrechnungen, die historischen Verläufe einer Vielfalt von quantitativen Anlageprinzipen nachzubilden. Unsere Backtest-Berechnungen beruhen auf monatlichen Kursdaten, beginnen am 31.12.1997 und enden am 31.07.2020, erstrecken sich also über einen Zeitraum von 22 Jahren und sieben Monaten. Die folgende Übersicht beschreibt grob die Ansätze, die im Vergleich zum Zuge kommen. Wenn bei einer Strategie Parametereinstellungen variiert werden können, haben wir es bei den seitens Portfolio Visualizer voreingestellten Werten belassen.

Was die verglichenen Strategien auszeichnet

Wesentliche Parameter der Anlagemodelle, die auf Datensätzen der Investmentanalyse-Plattform Portfolio Visualizer beruhen. Bei allen Strategien (außer bei Saisonal) fand – falls erforderlich – monatliches Rebalancing statt.
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Detaillierte Angaben (außer für Buy and Hold) finden Sie unter https://www.portfoliovisualizer.com/test-market-timing-model und https://www.portfoliovisualizer.com/faq sowie den dort angegebenen Quellen.

Keine Strategie sticht bei der Performance klar heraus

Die Performance, die die sechs Strategien über den Backtest-Zeitraum hinlegten, ist der folgenden Tabelle zu entnehmen. Aus einem Anfangsinvestment von 100 Dollar werden in den beiden besten Fällen (Adaptiv und Momentum) 507,15 bzw. 504,44 Dollar und in den beiden schlechtesten Fällen (Buy & Hold und Saisonal) 479,81 bzw. 459,90 Dollar erzielt. Die beiden Verbleibenden (Moving Average und Zielvolatilität) liegen mit 484,56 und 483,63 Dollar etwas darüber. Die durchschnittlichen Jahresrenditen bewegen sich mit 6,99 bis 7,45 Prozent in einer sehr engen Bandbreite. Die Performance-Unterschiede sind zu gering, um auf Basis der Ertragskraft ernsthaft eine der sechs Strategie zu favorisieren.

Ähnliche Performance, aber große Risiko-Unterschiede

Wertentwicklung, annualisierte Rendite und maximaler Verlust unterschiedlicher Anlagestrategien bei Anlage von 100 $ von Anfang 1998 bis Ende Juli 2020.
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Quelle: Portfolio Visualizer, eigene Berechnungen. Hinweis: Weder vergangene Wertentwicklungen noch Prognosen haben eine verlässliche Aussagekraft über zukünftige Wertentwicklungen.

Beim Risiko, gemessen anhand des erlittenen Maximalverlusts (Maximum Drawdown) über den gesamten Backtest-Zeitraum, ergeben sich größere Unterschiede. Mit Maximalverlusten von 32,38 bzw. 32,28 Prozent schneiden Buy & Hold und Momentum am schlechtesten ab. Einsamer Spitzenreiter ist hier die Moving-Average-Strategie, die mit 8,13 Prozent nur auf ein Viertel dieser Werte kommt.

Was bedeuten diese Ergebnisse für das im Epikureischen Sinn empfundene Glück, das die sechs Strategien bei Anlegern auszulösen vermögen? Sie befriedigen die Renditebegierde in mehr oder weniger gleichen Maßen, der Weg dahin ist allerdings mit unterschiedlichen Schmerzen – sprich: Maximalverlusten – verbunden. Aus Richard Layards Perspektive stellt sich zusätzlich die Glücksfrage: Inwieweit schnitt der Anwender einer Strategie während seines gut 22-jährigen Engagements relativ zu anderen ab? Wie die folgende grafische Darstellung der Wertentwicklungen zeigt, variiert der Erfolg der sechs Ansätze sehr stark im Verlauf des Backtest-Zeitraums. Es gibt ausgedehnte Phasen, in denen manche Strategien eindeutig dominieren, in anderen Phasen dann aber zu den klaren Verlierern gehören. Besonders stark unterscheiden sich die Verläufe vor, während und nach der Finanzkrise 2008/09. Vor und während der Krise schneiden zum Beispiel die Momentum- und die adaptive Strategie sehr gut ab, während beide im nachfolgenden Aufschwung durch lang andauernde Underperformance hervorstechen.

Anlagestrategien dominieren phasenweise

Performance einzelner Strategien anhand von Backtest-Berechnungen von Anfang 1998 bis Ende Juli 2020
Asset_Chart Internal Strategies Blog
Quelle: Portfolio Visualizer, eigene Berechnungen. Hinweis: Weder vergangene Wertentwicklungen noch Prognosen haben eine verlässliche Aussagekraft über zukünftige Wertentwicklungen.

Die beiden folgenden Grafiken zeigen die jährlichen Rangfolgen der Performance und der Verlusthöhen. Sie verdeutlichen, dass Jahr für Jahr Rendite- und Verlustrangfolgen heftig durcheinander gewirbelt werden. In neun der 23 Kalenderjahre ist zum Beispiel Momentum der Top-Performer, in neun anderen aber wiederum absolutes Schlusslicht. Besonders schmerzhaft: Momentum verzeichnet in 15 Jahren von allen Strategien die größten Drawdowns. Trotz attraktiver Gesamt-Performance birgt Momentum über lange Phasen das höchste Frustpotenzial. Generell zeigt sich, dass eine hohe Variabilität in der Performance-Rangfolge der Strategien besteht.

Starke Variation bei relativer Performance und Maximalverlust

Jährliche Performance-Rangfolge der sechs Strategien (höchste Performance oben)
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Jährliche Rangfolge der Maximalverluste (niedrigster Verlust oben)
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Quelle: Portfolio Visualizer, eigene Berechnungen. Hinweis: Weder vergangene Wertentwicklungen noch Prognosen haben eine verlässliche Aussagekraft über zukünftige Wertentwicklungen.

Hinsichtlich der langfristigen Gesamtrendite generieren die hier betrachteten Investmentansätze sehr ähnliche Glücksgefühle. Frust kann zwischenzeitlich aber durch die über die Zeit sehr unterschiedlichen Ertragsverläufe der Strategien und die erlittenen Verluste aufkommen. Wenn auch langfristig ähnlich rentabel, eine gewählte Strategie kann auf mittlere Sicht hinterherhinken. Damit muss der Follower eines Regelwerks zur Geldanlage leben. Die Wunschvorstellung, durch geschicktes Timing im Anlegerdasein von einer Erfolgsstrategie zur nächsten wechseln zu können, funktioniert in der Praxis leider allzu selten. Im Gegenteil: Langfristig dürfte Strategie-Hopping eher kontraproduktiv sein, da sich die Gewinnerstrategie von morgen kaum vorhersagen lässt. Einem schlüssigen, regelgebundenen Investmentansatz langfristig zu folgen dürfte erfolgversprechender sein, als stets auf die Überfliegerstrategie von morgen zu spekulieren.
Bild: Alex Rosario, unsplash.com

Risikohinweis – Die Kapitalanlage ist mit Risiken verbunden und kann zum Verlust des eingesetzten Vermögens führen. Weder vergangene Wertentwicklungen noch Prognosen haben eine verlässliche Aussagekraft über zukünftige Wertentwicklungen. Wir erbringen keine Anlage-, Rechts- und/oder Steuerberatung. Sollte diese Website Informationen über den Kapitalmarkt, Finanzinstrumente und/oder sonstige für die Kapitalanlage relevante Themen enthalten, so dienen diese Informationen ausschließlich der allgemeinen Erläuterung der von Unternehmen unserer Unternehmensgruppe erbrachten Wertpapierdienstleistungen. Bitte lesen Sie auch unsere Risikohinweise und Nutzungsbedingungen.

 

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Prof. Dr. Stefan Mittnik
GRÜNDER, WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT
Professor Dr. Stefan Mittnik lehrte von 2003 bis 2020 Finanzökonometrie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Zudem ist er Direktor des Center for Quantitative Risk Analysis sowie Fellow am Center for Financial Studies (CFS) in Frankfurt. Nach der Promotion in den USA lehrte er in New York und Kiel, bevor er nach München wechselte. Er war Mitglied des Forschungsbeirats der Deutschen Bundesbank, Fachkollegiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie Forschungsdirektor am CFS und Ifo-Institut und hatte mehrere Gast- und Ehrenprofessuren im Ausland inne. Seit mehr als 30 Jahren forscht er zu Fragen der Analyse, Modellierung und Prognose von Finanzmarktrisiken und entwickelt Lösungen, bei denen empirische Relevanz statt finanzmathematischer Eleganz im Vordergrund stehen.