Das Ende der Globalisierung? Gedanken zum “Zoll-Hammer” aus den USA

4. April 2025  |  Christian W. Röhl
Asset MM&M Michael Hüther 1920
Inmitten der geopolitischen Zeitenwende steht nun auch die Weltwirtschaft vor einer epochalen Zäsur.

Inmitten der geopolitischen Zeitenwende steht nun auch die Weltwirtschaft vor einer epochalen Zäsur. Wenn das, was Donald Trump am so genannten “Liberation Day” am 2. April angekündigt hat, tatsächlich zur Anwendung kommt, wird die effektive Zollquote der USA auf 20-25% steigen – das höchste Niveau seit den 1910er Jahren, das Ende des Freihandels: Die größte Volkswirtschaft der Welt schottet sich ab und sucht ihr Heil in einem Merkantilismus, wie wir ihn im 16. bis 18. Jahrhundert in Europa gesehen haben.

Gleichzeitig wäre es zu einfach, die Trump-Administration auf nationalistische Ideologien à la Steve Bannon zu reduzieren. Mindestens ebenso stark dürften die Kräfte sein, die einen – natürlich für die USA vorteilhaften – “Deal” suchen, so dass die Rede im Rosengarten zunächst die Verhandlungsposition definiert. Und die ist sicher ein “Worst Case”, gemessen an den Erwartungen von Ökonomen.

Was würden die nun angekündigten Zölle für die USA bedeuten?

Wenn diese Zölle längerfristig Bestand haben sollten, wird das an den globalen Lieferketten zehren und entweder die Margen der Unternehmen belasten oder steigende Preise nach sich ziehen. Wahrscheinlich dürfte in gewissem Maße beides passieren, was sowohl zu wirtschaftlicher Stagnation als auch zu Inflation führen kann. Kurz: Stagflation, das für die Börsen – und auch für die Notenbank – schwierigste Szenario.

Wie sollte Europa auf die Zölle reagieren?

Der rational-argumentative Spielraum für Verhandlungen scheint aktuell begrenzt. Das Weiße Haus teilt das US-Warenhandelsdefizit für jedes Land durch die Exporte dieses Landes, nennt das dann "Zölle inkl. Währungsmanipulation und Handelshemmnisse" und verhängt die Hälfte davon als Gegenzoll. Ein bizarr simples Narrativ, das die arbeitsteilige Struktur der globalisierten Wirtschaft ignoriert und so tut, als würden Defizite ausschließlich die Handelspolitik widerspiegeln.

Insofern muss auch Europa in Extremszenarien denken. Heißt: Entweder mit ebenso harten Gegenmaßnahmen drohen, die dann auch auf die Technologie-Plattformen abzielen – oder vorschlagen, sämtliche Zölle auf null zu reduzieren.

Dabei sollten wir uns vergegenwärtigen: Die USA sind eine wirtschaftliche Großmacht, aber auch die EU mit ihren 450 Millionen Konsumenten ist ein mächtiger Markt – und den gilt es zu stärken. Dabei spielen die Investitionsprogramme, die jetzt angeschoben wurden, durchaus eine wichtige Rolle. Wirken werden diese aber nur, wenn die EU strukturell agiler wird, Bürokratie abbaut und sich gleichzeitig nach neuen Partnern umsieht. Wenn die USA sich wirklich aus der Globalisierung verabschieden wollen, dann müssen wir den Freihandel mit anderen Ländern und Regionen wie Großbritannien, Kanada, Lateinamerika sowie vor allem Asien intensivieren – um von Anfang an Entschlossenheit zu demonstrieren, sozusagen eine “Globalisierung ohne die USA” umzusetzen, auch wenn das gerade mit Blick auf China eine immense Herausforderung ist.

Was bedeuten die Zölle für die deutsche Wirtschaft und den DAX?

Für die deutsche Exportwirtschaft ist der “Liberation Day” kurzfristig ein zusätzlicher Schlag, der hoffentlich auch den Koalitionsverhandlern in Berlin nochmal klarmacht: Es geht jetzt nicht um Verteilungskämpfe, sondern darum, die Wirtschaft flott zu machen für diesen epochalen Wandel – sonst gibt es bald nichts mehr zu verteilen.

Besonders betroffen wird neben Unternehmen wie Adidas oder Puma, die in Asien fertigen lassen und in den USA verkaufen, die Autoindustrie sein – sogar Mercedes-Benz und BMW, die ja bereits seit langem in den USA produzieren, dabei aber auch in hohem Maße von Zulieferern außerhalb der USA abhängen. Genau wie übrigens große Teile der US-Autoindustrie: Der Ford F-150 besteht zu zwei Dritteln aus importierten Teilen.

Gleichzeitig sind nicht alle DAX-Unternehmen vom “Zoll-Hammer” betroffen, etwa die Schwergewichte Deutsche Telekom oder die Versicherer Münchener Rück und Allianz – nicht umsonst sind deren Kurse in einer ersten Reaktion stabil.

Was bedeutet das jetzt für Deine Investments?

Auf jeden Fall besonnen – und nicht in der Hektik des Augenblicks Deine Vermögensstrategie über Bord werfen. Gerade wenn Du ein breit diversifiziertes Portfolio hast. Euro-Anleihen mit guter Bonität und Edelmetalle haben in den letzten Wochen stabilisierend gewirkt. Und auf der Aktienseite braucht es eine globale Investment-Basis – gerade in einer so unsicheren Welt- und Wirtschaftslage, wo überhaupt nicht absehbar ist, wer längerfristig die (zumindest relativen) Gewinner und Verlierer der “Zeitenwende” sein werden.

Und die im MSCI World hoch gewichteten Unternehmen sind ja global aktiv, unabhängig von ihrem Domizil – und könnten damit auch eine “Globalisierung ohne die USA” gestalten. Dabei sollte man nie die Fähigkeit von Menschen, Unternehmen und Volkswirtschaften unterschätzen, sich an neue Umstände anzupassen. Noch stärker reflektiert wird dies natürlich von einem “kompletten” Welt-Investment, das neben den im MSCI World versammelten Industrieländern auch die Schwellenländer einschließt. Nicht umsonst sind echte Weltportfolio-Konzepte wie der MSCI All Country World Index im Scalable Broker sehr beliebt.

Aber auch beim MSCI ACWI sehen wir ein hohes Gewicht von US-Aktien und Tech-Werten – die eine Dekade lang Performance-Treiber waren. Wer sich damit jetzt nicht mehr wohl fühlt, kann das Portfolio nachwürzen, etwa mit ETFs auf die Welt ohne USA oder speziell auf Europa oder Emerging Markets.

Das ist dann eben eine aktive, prognostische Entscheidung – und nicht mehr das passive Investieren, das sich über Jahrzehnte evidenzbasiert bewährt hat. Zumal die kapitalisierungsgewichteten Weltportfolio-ETFs ja sich selbst aktualisierende Systeme sind. Wenn die wirtschaftliche Zeitenwende den Abstieg der USA oder des Technologie-Booms einläuten sollte (was ja definitiv nicht ausgemacht ist), dann wird der MSCI ACWI das reflektieren – das Gewicht der USA und der Tech-Aktien würde sukzessive sinken, der Anteil anderer Regionen und Sektoren spiegelbildlich steigen.

Eine Blaupause dafür sind die 1990er Jahre, als Japan im MSCI World über 40% Gewicht hatte. Nachdem die dortige Spekulationsblase – die viel extremer war als das, was wir heute in den USA oder im Tech-Sektor sehen – geplatzt war, ist der Japan Anteil binnen eines Jahrzehnts auf 10% gefallen. Im Jahr 2000 waren dann die USA mit über 50% das Schwergewicht, auch Europa hat kräftig aufgeholt und gleichzeitig hat der MSCI World sich in den 1990er Jahren in DM/Euro inklusive Dividenden mehr als verdreifacht.

Klar ist: So ein Anpassungsprozess braucht Zeit – aber wer ohnehin mit einem Zeithorizont von 10 Jahren, 20 Jahren oder noch länger in einen globalen ETF investiert, bringt diese Zeit ja ohnehin mit. Und gerade mit einem Sparplan lassen sich die Schwankungen und Durststrecken ja nutzen – mehr ETF-Anteile für dasselbe Geld und wenn es dann wieder aufwärts geht, ist man umso stärker dabei.

Risikohinweis – Die Kapitalanlage ist mit Risiken verbunden und kann zum Verlust des eingesetzten Vermögens führen. Weder vergangene Wertentwicklungen noch Prognosen haben eine verlässliche Aussagekraft über zukünftige Wertentwicklungen. Wir erbringen keine Anlage-, Rechts- und/oder Steuerberatung. Sollte diese Website Informationen über den Kapitalmarkt, Finanzinstrumente und/oder sonstige für die Kapitalanlage relevante Themen enthalten, so dienen diese Informationen ausschließlich der allgemeinen Erläuterung der von Unternehmen unserer Unternehmensgruppe erbrachten Wertpapierdienstleistungen. Bitte lesen Sie auch unsere Risikohinweise und Nutzungsbedingungen.

 

Mehr lesen? Jetzt unseren Newsletter abonnieren
und Börsen-News direkt ins Postfach erhalten.

Asset Blog Predicitions Roehl
Christian W. Röhl
Chief Economist
KPMG Österreich ist das größte Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen in Österreich.