Vom Sorgenkind zum Weltmarktführer: Die Anatomie des Telekom-Comebacks

16. Oktober 2025  |  Christian W. Röhl
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Vom „Volksaktien-Flop“ zum globalen Champion. Erfahren Sie, wie vier strategische Hebel die Deutsche Telekom zur wertvollsten Telekom-Marke der Welt gemacht haben.

Kann ein ehemaliger Staatskonzern, dessen Aktie einst als Inbegriff enttäuschter Anlegerträume galt, zu einem globalen Börsenstar und zur wertvollsten Telekommunikationsmarke der Welt aufsteigen? Die Geschichte der Deutschen Telekom scheint diese Frage eindrucksvoll zu bejahen. Doch der Weg unter der Führung von Tim Höttges, von einem einstigen Sorgenkind zu einem Unternehmen, das heute mehr wert ist als alle europäischen Wettbewerber zusammen, war weder kurz noch einfach. Er offenbart eine tiefgreifende Transformation, die auf klaren Prinzipien, mutigen Entscheidungen und einer bemerkenswerten Beharrlichkeit beruht.

Das Gespräch zwischen Christian W. Röhl und CEO Tim Höttges im Podcast "Asset Class" legt die Anatomie dieses Erfolgs frei. Es beleuchtet die Spannung zwischen milliardenschweren, wiederkehrenden Investitionen, strenger Regulierung und dem Umstand, dass die großen Internetkonzerne das eigentliche Geschäft auf den Netzen der Telekom machen – eine für Anlegende auf den ersten Blick „ziemlich doofe Situation“. Wie also konnte die Telekom in diesem herausfordernden Umfeld derart wachsen?

Die vier Game Changer – Eine Strategie des radikalen Fokus

Der Grundstein für die Wende ist das Ergebnis einer Transformation, die seit rund zwei Jahrzehnten andauert, sagt CEO Tim Höttges und identifiziert rückblickend vier entscheidende Hebel, die das Unternehmen auf einen neuen Wachstumspfad führten.

Der erste Hebel war eine radikale Neudefinition des Kundenservice. Statt Callcenter als reinen Kostenfaktor zu sehen, wollte die Telekom sich Zeit nehmen für ihre Kunden – ganz anders als die Konkurrenz. Höttges betont, man habe bewusst in diesen Bereich investiert und es den Mitarbeitenden erlaubt, länger mit der Kundschaft zu sprechen, um deren Probleme wirklich lösen zu können. „Wir reden manchmal eine halbe Stunde oder länger mit den Kunden, damit wir das Problem wirklich in dem Erstkontakt gelöst bekommen“, erklärt Höttges. Sein Fazit: Guter Service ist keine lästige Pflicht, sondern eine der besten Investitionen, da er zu weniger Beschwerden und damit zu weniger Kosten führt.

Der zweite Hebel war ein Fokus auf das Kerngeschäft. Während Wettbewerber sich in angrenzenden Geschäftsfeldern wie der Medienproduktion versuchten und damit scheiterten, konzentrierte sich die Telekom auf das, was sie am besten kann. „Wir fokussieren uns auf Netze und in diese Netze haben wir massiv investiert“, so Höttges. Sein erklärtes Ziel sei es immer gewesen, mehr zu investieren als die Konkurrenz, um einen spürbaren Vorteil zu schaffen.

Als Drittes folgte eine konsequente Portfolio-Bereinigung. Aus Märkten, in denen aufgrund der Wettbewerbsstruktur oder lokaler Gegebenheiten kein Geld zu verdienen war, zog sich die Telekom zurück. „Bevor ich gutes Geld Schlechtem hinterherwerfe, trennen wir uns von so einem Markt“, beschreibt Höttges die radikale Logik dahinter.

Der vierte und vielleicht entscheidendste Game Changer war die Entscheidung, alles auf die Karte USA zu setzen. Die lange Zeit kritisch beäugte und teure Fusion mit Sprint wurde dank massiver Investitionen ein wichtiger Wachstumstreiber. Die Zahlen sprechen für sich: Der Wert von T-Mobile USA stieg nach der Übernahme von Sprint von 18 Milliarden Dollar auf 280 Milliarden Dollar.

Das Schwungrad in Bewegung: Wie Erfolg neuen Erfolg erzeugt

Diese vier strategischen Säulen bilden die Grundlage für das, was die Telekom heute als ihr "Schwungrad" bezeichnet. Es ist ein sich selbst verstärkender Kreislauf: Massive Investitionen in die Netzqualität führen zu einem technologischen Vorsprung. Dieser Vorsprung, gepaart mit exzellentem Service, zieht neue Kundschaft an und sorgt dafür, dass die bestehende treu bleibt, so die Idee.

Die wachsende Kundenzahl lastet die teure Infrastruktur besser aus, was die Profitabilität und die Margen steigert. Diese erwirtschafteten Finanzmittel fließen wiederum direkt in neue Investitionen, wodurch sich das Rad immer schneller dreht. Zusätzlichen Schub erhält dieser Kreislauf durch den gezielten Einsatz von Daten und künstlicher Intelligenz (KI).

Höttges sagt, das Unternehmen nutzt über fünfhundert KI-Anwendungen. Allein in der Service-Hotline kann die Bearbeitungszeit durch KI um zwanzig bis dreißig Prozent verringert werden. Ein weiteres Beispiel sind autonome Netze, bei denen KI Anomalien erkennt und so hilft, die Infrastruktur vor Angriffen zu schützen. Selbst die Planung für den Glasfaserausbau wird durch das Scannen von Straßen und die Analyse von Umgebungsdaten optimiert, was den Prozess digitaler und effizienter macht.

Zwischen Bonn und Seattle: Führen mit „Skin in the Game"

Die enorme Verschuldung von rund 130 Milliarden Euro, die aus diesen Investitionen resultiert, bereitet dem CEO keine schlaflosen Nächte. Ein Großteil davon seien Leasingverpflichtungen, denen Kundengeschäfte gegenüberstehen, und Schulden aus der Sprint-Transaktion, die in den USA liegen und aus den dortigen hohen Cashflows bedient werden. Der Fokus liege auf einem stabilen Investment-Grade-Rating, um die Refinanzierung jederzeit zu sichern.

Ein Aspekt, der von Anlegenden oft übersehen wird, ist die Interessensgleichheit zwischen Management und Eigentümer-Kreis. Bei der Telekom ist diese fest verankert. Alle Führungskräfte sind angehalten, bis zu fünfzig Prozent ihrer kurzfristigen Boni in Aktien zu investieren. Der Vorstand selbst hat über sechzig Millionen Euro an privaten Geldern in die Firma investiert. Höttges hält es für „extrem wichtig, dass sich Management ein Stück weit wie ein Eigentümer fühlt.“

Dieses unternehmerische Denken prägt auch die Steuerung der so wichtigen US-Tochter. Es sei keine reine Finanzbeteiligung, sondern eine Familie mit gemeinsamer Marke und Strategie. Die Balance liege darin, globale Synergien zu heben, aber das Unternehmertum und die operative Verantwortung vor Ort zu belassen.

Ein Weckruf aus der unternehmerischen Praxis

Die Transformation der Deutschen Telekom ist mehr als nur eine beeindruckende Unternehmensgeschichte. Sie ist ein Plädoyer für strategischen Fokus, unternehmerischen Mut und die Bereitschaft, tief ins Detail des eigenen Geschäfts einzutauchen („Know your business“). Der Erfolg, der sich unter anderem in einer über Jahre verlässlich gezahlten und für in Deutschland ansässige Privatanlegende steuerfrei ausgeschütteten Dividende zeigt, ist das Resultat dieser konsequenten Haltung.

Das Gespräch wirft jedoch auch ein neues Licht auf eine größere Herausforderung. Während die Telekom durch einen beherzten Schritt in die USA ihre globale Stärke ausgebaut hat, bleibt der europäische Heimatmarkt fragmentiert und überreguliert. Höttges' abschließender Appell ist daher nicht nur der eines CEOs, sondern der eines überzeugten Europäers, der hofft, „dass die neue Kommission endlich mal aufwacht und die Rahmenbedingungen für Infrastrukturinvestitionen in die Telekommunikation auch in Europa verbessert.“

Die Erzählung der Telekom bietet eine fesselnde Vorlage für unternehmerische Erneuerung. Um tiefer in die Strategien erfolgreicher Persönlichkeiten und die Dynamik der Wertschöpfung einzutauchen, laden wir Sie ein, weitere Episoden von „Asset Class“ zu entdecken.

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Christian W. Röhl
Chief Economist
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